Rezension „Jakobs Mantel“ von Eva Weaver

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Jakobs Mantel

Originaltitel: The Puppet Boy of Warsaw

Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence

Erschienen als Taschenbuch

393 Seiten

ISBN: 978-3-426-30442-6

Erschienen im Droemer Verlag

 

Inhalt

New York 2009. Eines Tages, während eines Spaziergangs mit seinem Enkel, glaubt der alte Mika auf einem Plakat den Mantel seines Großvaters Jakob zu sehen. Mit dem Mantel kehrt die Erinnerung an seine Kindheit zurück, an die lange verdrängten Schrecken des Warschauer Ghettos und an seine Rettung.

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Gedanken zu dem Buch

Ich möchte euch heute gerne von Mika erzählen. Mika heißt eigentlich Mikahel Hernsteyn. Er ist Jude und lebte 1938 mit seinem Großvater Jakob Hernsteyn und seiner Mutter Halina in Warschau. Er ist gerade zwölf Jahre alt, als sein Großvater sich einen schwarzen Mantel schneidern lässt. Sie führen ein zufriedenes Leben, die drei. Doch dann kommen die Deutschen. Die Wehrmacht marschiert ein und sie nehmen Polen in Besitz. Gebannt lauschen wir Mika, der die Geschichte seinem 13-jährigem Enkel Daniel erzählt.

Mika’s Mutter versucht sie trotz aller Verbote und menschenverachtenden Gesetze irgendwie durchzubringen, während sich sein Großvater immer mehr zurückzieht und von der Außenwelt abschottet. Er arbeitet Stunde um Stunde an seinem Mantel, fügt ihm heimlich neue Taschen und Verstecke hinzu, versteckt alle Dinge darin, die für ihn wichtig sind. Briefe, seiner verstorbenen Frau, Fotos seiner Lieben und vieles mehr. Ganz so als ahnte er bereits was ihnen noch alles bevorstehen würde.

 

Es schien mehr als nur ein neuer Mantel zu sein, es war, als zöge er in ein neues, größeres Haus. Seite 23

 

Im Jahr 1940 müssen sie dann ihre Wohnung räumen und werden umgesiedelt. Alle jüdischstämmigen Menschen, die in Warschau leben müssen in den Jüdischen Wohnbezirk ziehen. Wohnbezirk, wie sie sich das schön reden. Keiner hat das Wort Ghetto in den Mund genommen, aber genau das war es. Es leben so viele jüdische Menschen in Warschau, dass sie gar nicht alle eine eigene Wohnung bekommen können. Sie teilen sich oft zu siebt oder zu acht einen einzigen Raum und von nun an ändert sich Mika’s Leben komplett.

 

Beim Durschreiten des Tors ins Ghetto wurde mir meine Kindheit und alles genommen, was mir lieb und teuer war. Seite 34

 

Von jetzt an beherrscht die Angst Mika’s Leben. Man möchte ihm so gerne aufmunternde und tröstende Worte sagen, aber man kann nicht. Was bleibt einem auch übrig? Jeder weiß was die Geschichte des Nazi Deutschland so mit sich bringt. Es wird nicht besser. Im Gegenteil. Sie haben im Ghetto noch Glück und bekommen eine eigene Wohnung und in dieser auch noch jeder ein eigenes Zimmer. So auch Mika’s Großvater. Dieses Zimmer darf keiner betreten. Er sperrt es immer ab und dann stirbt Mika’s Großvater, weil er einem Mädchen helfen will. So erbt Mika den schwarzen Mantel und mit ihm all seine Geheimnisse. Er verbringt Tage damit den Mantel zu erforschen und was er in ihm entdeckt wird ihm noch mehr als nur einmal das Leben retten.

 

Ich denke, der Mantel wurde eine Art Rüstung für mich, und auch ein Zuhause. Er war alles, was ich von meinem früheren Leben noch besaß, die letzte Verbindung zu meiner Familie. Seite 232

 

Was nach dem Tod seines Großvaters passiert ist so eindringlich geschrieben, das mich die Emotionen beim Lesen immer wieder überwältigt haben. Ich wollte Mika helfen, ihm Mut zu sprechen, ihn warnen und bin doch immer wieder überrascht worden von seinem Durchhaltevermögen, seiner Kraft, seinem Mut und den unbrechenbarem Überlebenswillen, der immer wieder durchbricht. Wie viel kann ein Mensch verkraften bevor ihn die Hoffnung verlässt? Das habe ich mich des Öfteren in diesem Buch gefragt. Wie viel kann ein Mensch aushalten bis er den Rest Menschlichkeit verliert? Mika lehrt uns, viel sehr viel. Doch immer wieder bricht die Angst über ihm herein. Immer wieder plagen in Zweifel und man möchte ihm gerne die Hand reichen, kann es aber nicht. Wie gebannt oder paralysiert bin ich durch die Seiten von Mika’s Lebensgeschichte geflogen, musste mir stumme Tränen von Wut und Trauer wegwischen. Zu Anfang habe ich versucht dieses Buch mit einer gewissen Distanz zu lesen, nur nicht zu nah heranlassen, aber Mika hat sich mit seinem Willen zu Überleben, mit dem Mut allem zu Trotzen in mein Herz geschlichen und schon nach den ersten Seiten hatte ich verloren und die Geschichte hat mich verfolgt. Egal ob bei der Arbeit oder im Schlaf. Ich war gefangen. Gefangen in diesem Buch. Eva Weaver schreibt dieses Buch völlig unparteiisch, denn Mika lernt Max Meierhauser kennen, einen deutschen Soldaten. Auch ihn begleiten wir eine Weile durch das Buch und lernen die andere Seite kennen. Die Seite eines deutschen Wehrmachtssoldaten in Sibirien. Eva Weaver schafft es mit viel Fingerspitzengefühl ein Thema anzusprechen, was nach wie vor schwierig ist. Sie beschreibt zwei Geschichten in ihrem Buch ohne Partei für eine davon zu ergreifen. Sie vermittelt die zwei Seiten des zweiten Weltkrieges, denn auch was die Russen mit den Deutschen in Sibirien gemacht haben gehört nun einmal zum zweiten Weltkrieg und sollte nicht totgeschwiegen werden. Es ist ein Thema, das generell nicht totgeschwiegen werden sollte. Sie bedient sich keinerlei politischen Parolen, womit keinem geholfen wäre. Weder den Opfern, den Überlebenden, noch der nachfolgenden Generation. Wir können aus diesen Geschichten nur lernen. Lernen nicht zu vergessen! Und immer die Augen offen zu halten, damit sich genau so etwas nie wieder wieder holen wird!

Lange Zeit habe ich gehadert dieses Buch zu lesen. Solche Bücher, ich habe viele davon gelesen, berühren mich, lassen mich nicht mehr los, verfolgen mich und ich brauche lange bis ich mich davon wieder erholt habe und Abstand zu ihnen bekomme. Nach diesem Buch fühle ich mich emotional völlig ausgelaugt. Mika ist ein mutiger Junge, aber auch Max hat versucht das Beste daraus zu machen. Keiner der Beiden hatte es besser oder schlechter, beide mussten mit dem Erlebten leben.

Mir bleibt nur eines zu sagen, lest dieses Buch!

Wann immer du also einen gewöhnlichen Mantel siehst, denke daran, was in seinen Falten schlummern mag, was für Erinnerungen in seinen Taschen versteckt sein mögen. Vielleicht flüstert er dir in der Nacht etwas zu. In seine Ärmel sind so viele Geschichten genäht, und in seinen Säumen könnten viele Schätze auf dich warten. Seite 385

 

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10 Gedanken zu „Rezension „Jakobs Mantel“ von Eva Weaver

  • April 10, 2016 um 1:12 pm
    Permalink

    Wie viel kann ein Mensch verkraften bevor ihn die Hoffnung verlässt? Das frage ich mich auch oft bei der Lektüre solcher Bücher oder bei der täglichen Nachrichtensendung. In den Klassen meiner Töchter sind mittlerweile Flüchtlingskinder, die mit oder sogar ohne Familie geflüchtet sind.
    Scheinbar sind wir Menschen nicht fähig, ohne Krieg zu leben. Ängste, Neid, Mißgunst, Gier, tausend Gründe gab und gibt es. Umso wichtiger, dass solche Bücher geschrieben werden und sie uns daran erinnern, wie gut es uns geht. Und dass wir uns engagieren müssen, wenn es so gut bleiben soll, wie es ist. Mit einem wohlüberlegten Kreuz bei der Wahl, mit dem Vorleben von Werten für unsere Kinder oder mit einer Rezension zu eben diesem Buch.
    Danke dafür!

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    • April 12, 2016 um 6:42 pm
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      Diese Frage drängt sich mir auch des öfteren auf und beantworten kann sie wohl keiner oder eben nur derjenige, der es schon selbst erlebt hat.
      Ich glaube, da wo der Mensch lebt und existiert wird es immer Krieg geben oder zu findest Neid und Missgunst und Gier, was dann wieder rum einen Krieg heraufbeschwören wird. Ich hoffe für uns alle, das endlich Schluss ist mit diesem blöden Krieg und zumindest kein Mensch mehr Angst um sein Leben haben muss.

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  • April 10, 2016 um 2:49 pm
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    Hallo Corinna,

    eine sehr schöne Rezension zu diesem Buch! Ich dachte mir schon, dass du es so toll finden wirst 😉

    Mich hat es auch sehr bewegt und noch lange beschäftigt. Leider lernen die Menschen tatsächlich nie dazu, wie man an die Fremdenfeindlichkeit in Europa derzeit sieht. Krieg wird es wohl immer geben, der Mensch kann einfach nicht anders 🙁

    Noch einen schönen Sonntag dir!
    Liebe Grüße
    Janice

    Antwort
    • April 12, 2016 um 6:43 pm
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      Ich sollte einfach immer auf dich hören, es kommen dabei immer gute Bücher rum, und es war bei diesem Buch genau so wie du gesagt hast. Es hat mich buchstäblich vom Hocker gehauen 🙂

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  • April 10, 2016 um 3:34 pm
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    Tolle Rezi! Ich bin die Tochter von Frauke, Maja. Sie hat mir gesagt, dass ich das hier mal lesen soll.. Ich werde das Buch auf jeden Fall lesen! Ich liebe solche Bücher. Du hast das echt toll beschrieben, so fühle ich mich auch nach so einem Buch. Danke für die Rezi!

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    • April 12, 2016 um 6:44 pm
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      Liebe Maja,

      Ja, lies dieses Buch unbedingt, aber such dir eine Zeit aus, an welcher du nicht viel anderes machen musst 🙂 denn es ist wirklich heftig zu verdauen und man kann sich erstmal auf nichts mehr anderes konzentrieren 🙂

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  • April 11, 2016 um 8:08 pm
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    Hej Corinna,

    Wow! Bei mir ist es ja schon eine Weile her, aber nach deiner Rezension hab ich gedacht – ja, das war ein sehr, sehr besonderes Buch. Ich hoffe, dass es jetzt im Taschenbuch nochmal deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommt, denn es ist wirklich outstanding…

    Toll geschrieben!

    Sarah

    Antwort
    • April 12, 2016 um 6:45 pm
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      Liebe Sarah,

      vielen Dank für den lieben Kommentar, ja dieses Buch. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Es beschäftigt mich auch jetzt noch. Ich würde diesem Buch wirklich wünschen, dass es viel Aufmerksamkeit bekommt, denn die hat es definitiv verdient.

      Liebe Grüße
      Corinna

      Antwort
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